Thorsten Wilhelm hat im Jahr 2000 die eResult GmbH gegründet und ist seit dem als geschäftsführender Gesellschafter dort tätig. ?Im Jahr 1996 hat er damit begonnen die Einsatzbereiche und Grenze von Methoden & Verfahren der Usability-Forschung „unter die Lupe“ zu nehmen.
Die eResult GmbH hat sich auf die Durchführung von Usability-Tests, Anforderungsanalysen, Konzeption, Beratung und Monitoring von Websites, Online-Shops, Software und mobilen Anwendungen spezialisiert.
Im Interview mit dem EmailMarketingBlog erläutert Thorsten Wilhelm welche Rolle Usability im E‑Mail Marketing spielt und wie Newsletter nutzerfreundlicher gestaltet werden können.
Sie führen für Ihre Kunden seit vielen Jahren Blickbewegungsmessungen von Websites und Newslettern durch. Können Sie grundsätzliche Empfehlungen geben, welche Aspekte bei der Auswahl von Fotos und Grafiken berücksichtigt werden sollten? Wie schaffe ich es, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erhalten?
Thorsten Wilhelm: 15 Jahre Blickbewegungsmessungen für Websites & Newsletter in Wissenschaft und Praxis haben eine Vielzahl von Erkenntnissen gebracht. Keine Frage. ?Leider ist es noch nicht möglich allgemeingültige Aussagen zu treffen.
Zu jung ist dieses Analysefeld — im Vergleich zu mehr als 40 Jahren Blickmessungen im Printgeschäft -, zu dynamisch die Entwicklung bei der Gestaltung und zu unterschiedliche die situativen und kontextuellen Gegebenheiten bei der Nutzung von Websites und Newslettern. Ganz zu schweigen von personenbezogenen Merkmalen und deren Einfluss auf den Blickverlauf. Erkenntnisse aus der Printforschung auf Websites und Newsletter zu übertragen wäre „grob fahrlässig“ und ist nur bedingt möglich.
Wir und unsere Kunden vertrauen Aussagen zum Blickverlauf und zur Aufmerksamkeitsverteilung daher nur dann, wenn diese auf Basis gemessener Daten mit Eyetracking-Systemen abgeleitet werden. Solche Daten bieten wertvolle und tiefe Einblicke: Neben so genannten Eyecatchern können Aufmerksamkeitsschwerpunkte, Aufmerksamkeitslücken und Blickpfade ermittelt werden.
Für die gesamte Kontaktdauer mit dem Analyseobjekt (z. B. Newsletter), aber auch für unterschiedliche Kontaktphasen: Vom Öffnen des Mailprogramms, über das Lesen der Betreffzeile, den ersten „flüchtigen“ Blick auf den oberen Teil des Newsletter bis hin zum intensiven, zeitlich ausgedehnten Kontakt mit den Newsletterinhalten. Ganzheitliche Aufmerksamkeitsanalyse für Newsletter werden auf dieser Weise ermöglicht.
Wir stellen bei unseren Auftragsprojekten immer öfter fest, dass das User-Interface des verwendeten Mailprogramms (z. B. Outlook, Web-Mailer) den Blickverlauf in einem Newsletter entscheidend steuert.
Ein Beispiel: In Outlook kann die Liste der eingehend Mails (mit Sendername, Betreffzeile) am linken Rand oder im oberen Bereich angeordnet werden. Darunter oder daneben erscheint der Inhalt der Mails, z. B. der Inhalt eines Newsletters.
Der Blick wandert, sollte Sender und Betreffzeile Interesse wecken, von links oder von oben in den Newsletter „hinein“ – abhängig von der Position der Liste eingehender Mails. Und dieser scheinbar „marginale“ Unterschied hat deutlichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Bildern im Newsletter. So werden im Falle eines von links kommenden Blicks Bilder schneller und intensiver betrachtet. Wandert der Blick dagegen von oben nach unten in den Newsletter „hinein“, dann bekommen andere Elemente eine relativ höhere Aufmerksamkeit: Headlines und Navigationselemente zum Beispiel.
Newsletter müssen daher grad im oberen Drittel so gestaltet (und getestet) werden, dass es ihnen bei beiden Blickverlaufsrichtungen – von links vs. von oben — gelingt die zentralen Elemente und Aussagen schnell zu transportieren.
Agenturen, Designer und Redakteure sind immer wieder verblüfft, wenn wir ihnen diesen scheinbar marginalen Effekt anhand von Daten verdeutlichen und so für ganz neue Überlegungen zur Newslettergestaltung „sensibilisieren“.
Auf der Fachmesse Email-Expo konnten die Besucher des eResult-Messestands eine kostenlose Eyetracking-Analyse ihres Newsletters erhalten. Können Sie ein Fazit dieser Analysen ziehen? Was sind die typischen Fehler bei der Newslettergestaltung?
Thorsten Wilhelm: Ehrlich gesagt: Nein, leider können wir kein Fazit ziehen. Die Veranstaltung war hervorragend organisiert und für unser Neukundengeschäft perfekt: Wir hatten 31 an nur einem Tag viele intensive Gespräche und konnten insgesamt sogar 31 Blickverlaufsmessungen für unterschiedliche Unternehmen an unserem Stand durchführen. Darunter haben wir jedoch genau einen Newsletter gemessen.
90% unserer Standbesucher hatten den Wunsch, dass wir Blickmessungen für ihre Startseiten, Produktdetailseiten oder Landingpages vornehmen. Und das auf einer Messe mit der Bezeichnung „email-expo“.
Vielleicht lag das an unserem Stand, den wir zusammen mit Sirvaluse und u‑concept betrieben haben. So konnten wir geballtes Usability-Wissen signalisieren. Und „Usability-Optimierung“ und Newslettergestaltung scheinen für viele leider noch (!) keine direkte Verbindung aufzuweisen. Wir arbeiten aber daran, dass sich das ändert.
Welche Kosten entstehen, wenn ich meinen eigenen Newsletter mittels Eyetracking analysieren lassen möchte? Wie lange dauert die Durchführung?
Thorsten Wilhelm: Das kommt drauf an :-) ??Wir führen vor jedem Test eine expertenbasierte Voranalyse durch, um zusammen mit unserem Kunden und auf Basis unserer Erfahrung die zentralen Thesen zu den vermeintlichen Schwächen des Newsletters zu identifizieren und zu priorisieren.
So gelingt uns eine Fokussierung auf das Wesentliche und die „Größe“ der Studie (und damit auch die Kosten) kann auf das notwendige Maß reduziert werden. Nicht alles muss untersucht und gemessen werden; einige „Thesen“ zu vermeintlichen Schwächen können jedoch finale nur durch eine Messung und Studie mit und am Nutzer geklärt werden.
Grundsätzlich analysieren testen und optimieren wird das grundlegende Newsletter-Konzept (Gestaltung, Designrichtlinien, Anordnung von Elemente) – und weniger einzelne Newsletter.
Die Preisgestaltung variiert dabei zwischen 600 und ca. 9.000 Euro. Für 600 Euro erhalten unsere Kunden Aussagen zum typischen Blickverlauf beim Betrachten eines Newsletters (oberes Drittel, kompletter Newsletter), wir identifizieren die Eyecatcher in den ersten 2 Sekunden Kontaktdauer, weisen die durchschnittliche Länge von Blicksprüngen und Fixationen aus und können Aufmerksamkeitslücken aufdecken. Auf Basis dieser Daten geben wir konkrete Anregungen zur Optimierung der formalen Gestaltung und Anordnung von Elementen des Newsletters.
Weitergehende Daten und Erkenntnisse, die zum Beispiel aus einer Analyse unterschiedlicher Kontaktphasen und der hier gezeigten Blicke oder aus dem Zusammenspiel zwischen emotionalem Eindruck und Blickverlauf gewonnen werden können, führen zu einer Erhöhung der Kosten. Ebenso eine Analyse des Verhaltens nach einem Klick – z. B. auf einer dem Newsletter hinterlegten Landingpage. Bei alle Studien und Projekten ist unser Anspruch stets konkreten Empfehlungen zu unterbreiten und so die wesentlichen Schwächen zu beheben.
Der Gestaltung von Newsletter-Anmeldeformularen wird häufig wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Wie sollte ein benutzerfreundliches Anmeldeformular aussehen?
Thorsten Wilhelm: Die Abfragen sollten unbedingt auf das Wesentliche reduziert werden. ?„Wesentlich“ ist dabei relativ zu sehen. Es kann durchaus als nutzerfreundlich eingestuft werden, wenn das Geburtsdatum mit abgefragt wird.
Wichtig ist nur, dass dem Nutzer verdeutlicht wird, wofür welche Daten abgefragt und verwendet werden. Wenn er z. B. einen 7,50 Euro Einkaufsgutschein zu seinem Geburtstag bekommen kann, ja dann wird der einen oder andere auch gern sein Geburtsdatum angeben – natürlich rein optional und auf keinen Fall ein Pflichtfeld.
Apropos Pflichtfelder: Das (*) zum Kennzeichnen von zwingend einzugebenden Daten nimmt immer mehr an Bedeutung und Verbreitung ab. Unser Studien – und auch Studien aus den USA – zeigen recht deutlich, das (*) zur Kennzeichnung von Pflichtfeldern verzichtet werden kann.
Nutzerfreundlicher sind Zusatzinformationen am Eingabefeld, wie z. B. (optional), oder die Kennzeichnung direkt im Formularfeld mit den Begriffen „optional“ oder „freiwillig“. Das ist verständlicher und verhindert, dass Nutzer optionale Daten nicht gewollt bzw. unfreiwillig preisgeben. Aber ich hab auch schon Website-Betreiber kennengelernt, die genau aus diesem Grund weiter das Sternchen verwenden. Eine hohe oder auch niedrige Nutzungsfreundlichkeit wirkt sich langfristig und nachhaltig (dauerhaft) aus, während die Sammlung von Daten schnell wirksam ist.
Wie lang sollten die Artikel in einem Newsletter sein? Werden lange Texte überhaupt noch gelesen?
Thorsten Wilhelm: Ich denke, dass die These vom „Scannen“ von Texten nach wie vor Gültigkeit hat, auch und vielleicht grad in Newslettern. Die wenigsten interessierten Newsletterempfänger werden die Texte komplett lesen.
Dennoch müssen die Text leicht verständlich sein, überzeugend geschrieben und die Kernbotschaft schnell vermitteln können. Nur so gelingt es die vielleicht im Mittel 5% Leser zur gewünschte Reaktion / Aktion zu führen. Und 5% Conversion Rate – das ist ja alles andere als schlecht.
Grundsätzlich denke ich, dass immer mehr am Bildschirm gelesen wird, nicht zuletzt weil die Rechner bessere Monitore aufweisen und immer mehr Nutzer mobil, von unterwegs „surfen“ und „mailen“.
Die Statusmeldungen bei Facebook, Twitter, XING & Co. tun ihr übriges, sie gewöhnen die Nutzer auch (wieder) an das Lesen am Bildschirm, umgekehrt aber auch an immer mehr Aussagegehalt in immer kürzeren Texten. Gut so, finde ich.
Es bleibt also spannend. Es wird uns alle, die wir für unsere Kunden das „E‑Business“ optimieren, bestimmt nicht langweilig und das ist gut so.
Aktuelles Wissen und neueste Erkenntnisse rund um die Themen Usability, User Experience und Online-Shopping veröffentlicht die eResult GmbH unter www.Usabilityblog.de.